Computerspiele

Aus einem Leserbrief an die Psychologie heute (2008/11):


ich stimme ... überein, dass Kinder psychisch unreif sind ... Die Ursache dafür sehe ich ... in der Macht der neuen Medien (Internet, Computerspiele, Playstation). Diese halten das Kind bis ins Erwachsenenalter auf einer psycho-sozialen Stufe, die in der Tat der eine Kleinkindes entspricht: nämlich in der Omnipotenzphase. Hier lebt das Kind nach dem Lustprinzip: Es erlebt sich als den Mittelpunkt der Welt, kennt keine Gefahren, erfährt aber schon die Macht, die es durch sein Verhalten auslösen kann. Es wird umsorgt, muss sich jedoch selbst keine Sorgen machen. Verlieren lernen die Kinder hierbei nicht. ... Wir haben die Welt durch das Buch entdeckt, haben uns auf Figuren und Vorbilder eingelassen, die andere erschaffen haben, nicht wir selbst. Wir konnten uns identifizieren oder abgrenzen, aber die Macher waren nicht wir, sondern andere, Erwachsene. So konnten wir die Rolle in der Welt einnehmen, die einem Kind entspricht: ein kleines Rädchen im Getriebe, das durch eigene Anstrengung und Lernen irgendwann einmal eine gestaltende Rolle in dieser Gesellschaft haben wird. Warum sollten unsere Kinder sich einfügen lernen, Motivation zum Lernen entwickeln, wenn sie doch an anderer Stelle der "King" sein können, der omnipotente Alleskönner, der Weltveränderer?


Eine Menge Holz. Fangen wir an.

(1) Bücher sind besser als Spiele, weil sie Identifikationsfiguren enthalten, die Erwachsenen (!) erfunden haben. Ob das Argument nicht nach hinten los geht? Bücher können auch Verführer sein, gerade weil sie oft von Erwachsenen geschrieben werden.
(2) Die Rolle des Kindes: "sei ein kleines Rädchen im Getriebe". Welchem Erziehungsideal folgen wir denn damit?
(3) Die Zukunftsprojektion: Nur wenn du klein angefangen hast, dann darfst du auch groß werden: "... irgendwann einmal eine gestaltende Rolle in dieser Gesellschaft haben wird". Und in der Verfassung halten wir die Grundwerte hoch und heilig, dass jeder das gleiche Recht unabhängig von Ansehen und Stand ... und Bildung ... politisch tätig und damit auch gesellschaftlich gestaltend tätig sein darf. ich glaube nicht, dass die gestaltende Rolle in einer Demokratie von der Anstrengung oder dem Lernverhalten abhängig sein darf. Eine solche Einstellung entspricht nicht unseren gesellschaftlichen Grundwerten.
(4) In Computerspielen regiert nicht das Lustprinzip, sondern der klassische Behaviorismus: Bist du gut, kommst du weiter, bist du nicht gut, verliert was oder muss es nochmal probieren. Wer behautet, dass Computerspiele ohne Anstrengung zu spielen wären, hat wohl noch keins selbst gespielt und verkennt die Spiele-Realität. Es ist ja eher umgekehrt. Alle Mechanismen, die in der Realität nicht wirklich ausgeprägt zur Verhaltenssteuerung eingesetzt werden, werden in den Spiele geschickt eingesetzt. Zudem kommt die Veränderung des Zeithorizontes in Richtung 'Unmittelbarkeit': Die Effekte sind unmittelbar und nicht erst nach einem Zeitverzug zu erleben. Das ist das, was man sich als Pädagoge im Unterricht wünscht, aber auf Grund der organisatorischen Gegebenheiten nicht erfüllen kann: unmittelbares Feedback auf Handlungen und Verhaltensänderungen. Unmittelbares Feedback hat auch den Gehirn-physiologischen Nebeneffekt, dass es besser behalten/gelernt wird, weil es mit erhöhter Aufmerksamkeit wahrgenommen wird.


Ich mache mir Sorgen ob dieser anklagende Eltern-Haltung. Weil sie zeigt, wie wenig die Wirkmechanismen von Computerspielen verstanden werden und wie wenig ausgeprägt immer noch das gleichberechtigte Rollenverständnis zwischen Eltern und Kinder ist. Offensichtlich kann sich der Elternteil nicht wohlwollend-distanziert mit dem spielenden Kind auseinandersetzen, sondern empfindet das Computerspielen der Kinder als ein Infrage stellen der eigenen Identität. (Es gäbe ja auch noch das gemeinsame Computerspielen, was vermutlich aber nicht diskutabel ist.)