Leserbrief zum Artikel von Matthias Horx
Der Leserbrief bezieht sich auf einen Artikel in der Psychologie Heute Ausgabe Dezember 2007.
Lieber Matthias Horx,
schön zu lesen, dass Sie mit Ihren Kindern WOW spielen. Besser so als wenn sie alleine spielen müssten. Gefallen hat mir auch die Beschreibung der Spielidee und einige der Hintergrundinformationen. Ja, man kann sich in diesen Spielen verlieren und viel Zeit verbringen, aber das beschrieben Sie ja auch sehr anschaulich. Ich kenne seit geraumer Zeit ein ähnliches Spiel: EverQuest II und daher kann ich Ihre Erfahrungen und Schlussfolgerungen durchaus nachvollziehen. Auch Ihre Passage zu den lauten Vorwürfen kenne ich, allerdings wird das ‚Fehlverhalten‘ von uns Älteren eher von den Jüngeren beklagt als umgekehrt: sie spielen halt einfach besser. Aber das werden Sie ja auch noch erleben.
Ich möchte noch zur Beschreibung der Spieler-Population etwas beitragen: ... Manche Spieler sind behindert oder im Altersheim. Sie glauben gar nicht, wie viele ältere Spielerinnen ich kenne (meine älteste Spiele-Partnerin ist über 70).
Aber darüber will ich gar nicht so lange schreiben. Sie schildern auch Probleme mit dem Spiel, wie Exzesse bezüglich der Spielzeit und die Sogwirkung (Sucht). Das ist aus meiner Erfahrung eine real existieren Gefahr der Spiele. Ich kenne eine Menge Spieler und Spielerinnen, die dieser Sucht erlegen sind und – weil volljährig – keine Stecker ziehenden Eltern neben sich haben und daher auch im Realleben dahinvegetieren. Das ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn Ihnen Spieler offenbaren, dass sie im wirklichen Leben keine Chance mehr haben und sie nur noch spielen wollen, weil sie im Spiel durch ihre Figuren eine (ihre?) Existenz mit genauer Skalierung (Wertschätzung!) bewusst erleben und etwas darstellen, was sie im wahren Leben nie zu hoffen wagten. Vielleicht unterschätzen Sie das ja – aber meiner Meinung nach, haben Sie das Gefährliche, die Spielsucht, zu harmlos dargestellt, denn das ist, wie in vielen Foren nachzulesen, ein massives, existenzielles Problem.
Es gibt noch eine Seite, die leider in Ihrem Aufsatz nicht genügend vorkommt: Die Beziehungen zwischen den Spielern. Jaja es wird geheiratet, das stimmt. Aber es wird auch fremdgegangen und geschieden! Weil sich die Partner (oft spielen sie ja zu zweit und die manchmal vorhandenen Kleinkinder nörgeln ins Teamspeak, weil sich niemand um sie kümmert) in andere vergucken und daraus eine Affäre wird, die bis ins Realleben reicht. Dass in allen Spielen auch diverse Sexspielchen laufen, dürfte Ihnen sicherlich bekannt sein. Fast jede zweite meiner Bekanntschaften konnte von einer im Spiel passierter Begebenheit berichten. ...
Aber auch Freundschaften werden geschlossen und ich sehe noch die Tränen in den Augen, wenn sich Spieler aus dem Spiel verabschieden. Schwärmerei, ja klar! Kommt ja auch im wirklichen Leben vor. Aber die im Spiel werden eigenartigerweise intensiver erlebt!
Und dann gibt es noch den Gruppendruck: Gilden und Raid-Communities sind soziale Gebilde bzw. Zweckgemeinschaften, zu denen sich Spieler zusammenschließen, um gemeinsam spezielle Quests oder Dungeons zu meistern. Es herrscht dort oft ein starker Druck bezüglich gutem Ausgerüstet sein, schnellem Hochleveln der Characters und der manchmal täglichen Teilnahme an Gruppenaktivitäten bis in die frühen Morgenstunden. So stark ist der Druck, dass mancher Spieler nicht mehr mit seinem in diesem Kreis ‚bekannten‘ Character spielt und auf unbekannte (anonyme) Chars ausweicht, weil er nicht mithalten kann. Manchmal wird ein Spieler auch einfach gemobbt. Natürlich kann ein Spiel nicht viel anders sein, als das, was in normalen sozialen Gefügen gewohnt, aber es ist nicht wirklich schön
Der Sinn meiner Anmerkungen ist, dass sich in diesen Spielen nicht nur Chancen oder Trainingsfelder, die man verkennt, finden, sondern auch viele Facetten, die menschliches Leid betreffen. Da das Spiel mindestens so intensiv wie das reale Leben empfunden wird, schlägt Emotionales auch so hart zu. Vielleicht ist das ja auch der tiefere Sinn allen Spiels. Gut, wenn ein Spieler da auf Bezugspersonen im wirklichen Leben zurückgreifen kann, die ihn verstehen und ihm auch zur Seite stehen: ohne latenten Vorwurf, aber um die Nöte wissend.
Viele Grüße
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen